Masseur/in und medizinischer Bademeister/in

Interview „Viele meiner Patienten werden mit mir alt“

Alle für Gesundheit Medizinischer Bademeister

von Kea Antes
am 27.04.2018

Ulrike Reichert, 57 Jahre, Masseurin und medizinische Bademeisterin aus Schwieberdingen:

Seit 24 Jahren arbeitet Ulrike Reichert als Masseurin und medizinische Bademeisterin in einer Physiotherapiepraxis in der Nähe von Pforzheim, Baden-Württemberg. Sie hat sich auf die Manuelle Lymphdrainage spezialisiert. Die meisten ihrer Patienten betreut Frau Reichert über einen langen Zeitraum – oft sogar bis zum Lebensende. Während dieser Zeit baut sie eine sehr intensive Beziehung zu ihnen auf. Für viele sei sie mehr als „nur“ eine ausgebildete Masseurin. Sie gebe ihren Patienten das Verständnis, das sie im privaten Umfeld leider oft nicht erhalten.

Zwei Mal pro Woche, morgens um 8 Uhr, betritt Frau Reichert ihren Arbeitsplatz, eine Physiotherapiepraxis in der Nähe von Pforzheim. Sie ist ausgebildete Masseurin und medizinische Bademeisterin und hat sich auf die Manuelle Lymphdrainage spezialisiert. Dabei handelt es sich um eine Massagetechnik, durch die der Körper gestaute Lymphflüssigkeit leichter abtransportiert. Frau Reichert führt die Behandlung hauptsächlich bei Patienten durch, die eine Krebserkrankung hatten. „90 Prozent meiner Patienten sind in Dauerbehandlung bei mir, viele davon im fortgeschrittenen Alter“, sagt die Masseurin. „Dadurch baue ich eine sehr persönliche Beziehung zu ihnen auf, sie erzählen mir viel von ihren körperlichen und psychischen Beschwerden.“ Doch auch Patienten, bei denen sich nach einer Operation Blutergüsse und Schwellungen gebildet haben, kommen zu ihr in die Praxis – von jung bis alt.

„Die heutige Gesellschaft neigt dazu, immer in Aktion zu sein“, sagt Frau Reichert. „Die Einflüsse von außen sind groß und anstelle sich bewusst zu entspannen, ist bei vielen die Freizeit mit Aktivitäten durch getaktet.“ Wenn Patienten dann das erste Mal zu ihr in die Praxis kommen, sei es für viele total schwer, vom Alltag loszulassen und einfach die Behandlung geschehen zu lassen. Das sei insbesondere bei den jüngeren der Fall. „Viele kennen es von der Physiotherapie, dass sie aktiv mitarbeiten müssen“, so Frau Reichert. „Das ist bei mir nicht der Fall, die Patienten sind ruhende Teilnehmer der Therapie, für den Erfolg der Behandlung ist es wichtig, dass sie sich entspannen können.“

 

Nach der Ausbildung als Saisonkraft auf die Insel Föhr

Frau Reichert beendete 1979 die Ausbildung zur Arzthelferin und erlernte dann an einer staatlichen Schule in Düsseldorf den Beruf der Masseurin und medizinischen Bademeisterin. Nach einem Jahr Theorie und 1,5 Jahren Praktikum in einer Klinik hatte Frau Reichert ihren Abschluss. Sie bekam das Angebot, ein halbes Jahr als Saisonkraft in einem Kurmittelhaus auf Föhr als Masseurin tätig zu sein – und nahm es an. Danach zog sie nach Solingen und arbeitete dort 11 Jahre als selbstständige Masseurin und medizinische Bademeisterin in der eigenen Praxis für Physikalische Therapie. 1994 zog es sie dann nach Baden-Württemberg, wo sie seither in Festanstellung tätig ist.

 

Auch Hausbesuche gehören zum Arbeitsalltag

Das Praxisteam besteht aus zwei Mitarbeiterinnen am Empfang und fünf weiteren Physiotherapeuten. „Da wir eine relativ kleine Praxis sind, besteht mein Alltag nicht nur aus Behandlungen, ich gehe auch ans Telefon, mache Wäsche oder bereite Fangopackungen vor“, so Frau Reichert. „Die Behandlungen selbst gehen dann über den Tag verteilt nahtlos ineinander über.“ Anders als bei ihren Kollegen, sei der Dokumentationsaufwand auf Grund der hohen Anzahl an Dauerpatienten meist relativ gering. Therapieberichte fallen eher bei einmaligen Verordnungen für Massagen an.

Es gibt Patienten, die betreut Frau Reichert schon seit 1995, also seit sie in der Praxis angefangen hat zu arbeiten. „Ich sage immer, ich werde mit meinen Patienten alt“, so die Masseurin. Wenn es Patienten auf Grund des fortgeschrittenen Alters nicht mehr schaffen, in die Praxis zu kommen, dann behandelt Frau Reichert sie auch zu Hause. „Ich kenne die Menschen so lange, ich lasse sie dann nicht im Stich“, so die Masseurin.

 

Nicht „nur“ Therapeutin, sondern auch Zuhörerin

„Ich habe zu vielen meiner Patienten eine sehr enge Bindung“, sagt Frau Reichert. „Wir reden nicht nur über die Krankheit, sondern auch über persönliche Dinge.“ Besonders die Menschen, die eine Krebserkrankung hinter sicher haben, geben ihr oft sehr intensive Einblicke in ihr Leben. „Anders als bei vielen anderen Therapieformen habe ich die Zeit, darauf einzugehen“, so die Masseurin. „Denn bei Tumorerkrankungen erhalten die Patienten mindestens 30 Behandlungen, oft sogar mehr.“

Doch egal, mit welcher Krankheitsgeschichte die Patienten zu ihr kommen: Jedes Mal, wenn sie ihre Patienten therapiert, erhält sie neue Impulse und Informationen, die für die Weiterbehandlung wichtig sind, beispielsweise über den aktuellen Gemüts- und Gesundheitszustand. Daran könne sie dann therapeutisch ansetzen.

„Dass ich meine Patienten durch meine therapeutischen Berührungen körperlich und seelisch, also ganzheitlich begleiten kann, ist ein gutes Gefühl“, sagt Frau Reichert. „Ich mache meinen Beruf mit Herzblut, das merken die Patienten und sagen es mir auch.“ Für die Arbeit mit Menschen sei das eine wichtige Voraussetzung. Viele Menschen erlernen einen Beruf nur als Mittel zum Zweck, nämlich um Geld zu verdienen. Für Frau Reichert käme das nicht in Frage. „Das Gefühl, gebraucht zu werden, motiviert und bestärkt mich in dem, was ich mache.“ 

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