Podologe/Podologin

Von Diabetikerfüßen zur Schulleitung und zurück

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am 16.08.2017

Christine Kuberka-Wiese ist seit über 30 Jahren Podologin. Elf Jahre ihres Berufslebens leitete sie eine Berufsfachschule für ihr Fachgebiet – die zweite, die in Deutschland gegründet wurde. Sie würde den Beruf immer wieder ergreifen, erzählt aber auch von zu geringer Bezahlung durch die Krankenkassen.

Der ältere Herr ließ sich von seiner Familie nichts sagen. Das Bein war stark gerötet und geschwollen. Er hatte erhöhte Temperatur und Schüttelfrost – doch ein Krankenhaus kam für ihn nicht in Frage. Als der Diabetiker so in der Praxis von Christine Kuberka-Wiese stand, musste diese schnell handeln. Die Podologin rief nach kurzer Absprache mit der Familie sofort einen Krankenwagen. Damit rettete sie dem Patienten das Leben –  innerhalb der nächsten ein bis zwei Tagen wäre er an einer Blutvergiftung gestorben. Der Fall ist der Podologin im Gedächtnis geblieben, war zum Glück jedoch eine Ausnahmesituation. Immer wieder gibt es auch die harmlosen Fälle – zum Beispiel Patientinnen, die sich für den Sommer Nagelprothesen wünschen, um wieder mit Freude Nagellack und Sandalen ausführen zu können. „Jeder Patient bringt eine ganz andere Geschichte mit“, erzählt die 54-Jährige, „das macht meinen Beruf so unglaublich abwechslungsreich und spannend“.

Fußballernägel und Diabetikerfüße

Die meisten Patienten, die Kuberka-Wiese behandelt, kommen mit akuten Schmerzen an den Füßen zu ihr. Hühneraugen unter dem Nagel, Warzen, eingewachsene Nägel und sehr lange und verdickte Nägel können hierfür die Ursache sein. „Es kommt aber auch der ein oder andere Fußballer zu uns, dessen Zehennägel vom vielen Kicken blutunterlaufen sind“, berichtet sie. Mit Fräsern, Zangen und Skalpell rückt sie dann den Schmerzverursachern zu Leibe. Danach kommen Hilfsmittel zum Einsatz, die verhindern, dass die Beschwerden zurückkommen: Nagelkorrekturspangen, die eingerollte Nägel wieder flach machen. Orthosen, die übereinanderliegende Zehen nebeneinander bringen. Tapings und Polstermaterialien, die den Fuß an den richtigen Stellen entlasten.

Etwa zweimal im Monat muss sie Patienten an Ärzte weiterleiten. Ein Alarmsignal sind etwa Schmerzen unter dem Fersenbein. Häufiger ist aber der umgekehrte Weg: Ärzte überweisen Diabetes-Patienten in ihre Praxis, da sie einen „diabetischen Fuß“ entwickelt haben. Der ist eine typische Folge der Zuckerkrankheit: Der Fuß wird besonders anfällig für Verletzungen, die zu tiefen chronischen Wunden führen können. Dabei kommt es oft auch zu Nervenleitstörungen: Die Patienten verlieren jegliches Schmerzempfinden in den Füßen – mit ein Grund, warum der ältere Herr mit seinem geschwollenen Fuß keine Notwendigkeit sah, sich in ein Krankenhaus zu begeben. „Patienten mit diesem komplexen Krankheitsbild oder auch anderen Grunderkrankungen wie Arteriosklerose, rheumatoider Arthritis, Allergien, Schuppenflechte oder Venenerkrankungen zu behandeln, verlangt großes medizinisches Wissen von uns Podologen“, erklärt Kuberka-Wiese.

Lernte noch unbekannten Beruf an erster deutscher Berufsfachschule

Kuberka-Wiese gehörte sozusagen der ersten Generation Podologen in Deutschland an. Als sie 1983 Abitur machte und einen Gesundheitsberuf ergreifen wollte, gab es nicht einmal den Begriff „Podologe“. Der Zufall wollte, dass in der Nähe ihres Wohnortes, in Braunschweig, gerade die allererste Berufsfachschule für „Staatlich geprüfte Medizinische Fußpfleger“  frisch aufgemacht hatte. „Ein Leben im Büro zu verbringen und Papiere anzugucken, wäre nichts für mich gewesen“, erzählt sie. „Obwohl der Beruf damals noch fast unbekannt war, hat es mich gereizt, dass ich mit Menschen zu tun haben könnte und ihr Wohlbefinden steigern könnte.“

Sie absolvierte die zweijährige Ausbildung inklusive Praktika in Hannover und Oldenburg und einer Auslandshospitation in Eindhoven in den Niederlanden, an der Hogeschool für Podologie. Für die Podologin war dieser Blick über den Tellerrand eine wichtige Erfahrung. „Bis heute trete ich dafür ein, im Blick zu behalten, was wir Sinnvolles aus anderen Ländern übernehmen können“, so Kuberka-Wiese.

Elf Jahre Schulleiterin an zweiter Berufsfachschule

Nach bestandener Prüfung konnte Kuberka-Wiese die Praxis einer ihrer Lehrer in der Duisburger Innenstadt übernehmen. Diese leitete sie, hatte dabei eine Angestellte und zwei Auszubildende. 1992 sollte in Plattling eine zweite Berufsfachschule in Deutschland eröffnet werden, und die Stellenausschreibung für die Schulleiterin ging durch die Fachpresse. Kuberka-Wiese hatte, wie sie sagt, zu dem Zeitpunkt den „Rolls-Royce“ der Qualifikation vorzuweisen:  Abitur, die noch junge Berufsfachausbildung – und sieben Jahre Praxiserfahrung. „Das war damals ungewöhnlich, da es ebenso wie heute viele Quereinsteiger gab, und so bekam ich den Job“, erzählt sie.

Sie gab ihre Praxis auf, zog um und widmete sich in den nächsten elf Jahren in Vollzeit der Schulleitung. Wissen an den Nachwuchs weiterzugeben war für sie schon bekanntes Terrain: Bereits zuvor hatte sie in einem Prüfungsausschuss eines Berufsverbandes Prüfungen abgenommen. Und in ihrer podologischen Praxis waren Praktikanten für dreimonatige Praktika aus- und eingegangen. Sie unterrichtete nun alle podologischen Fächer in Theorie und Praxis. Zusätzlich war sie verantwortlich für Organisatorisches wie die Umsetzung der Vorschriften des Kultusministeriums.

Um eine Familie zu gründen, gab sie ihren Posten schließlich wieder ab und ging in ihre Heimat Niedersachsen zurück. 2004 begann sie, in Teilzeit zu arbeiten – nun angestellt als eine von vier Podologinnen in einer Praxis in einer benachbarten Kleinstadt. „Das ist einer der großen Vorteile des Berufes“, erzählt sie. „Man kann Kinder und Berufstätigkeit wunderbar vereinbaren. Denn Podologen werden immer gesucht. Daher zeigen sich die meisten Praxischefs sehr flexibel, wenn man zum Beispiel nur an einigen Tagen in der Woche arbeiten möchte.“

Geruhsameres Arbeiten als in Arztpraxis

Einen weiteren Vorteil sieht Kuberka-Wiese darin, dass ihr Arbeitstag sehr gut plan- und vorhersehbar ist. Ein Großteil der Patienten kommt oft und routinemäßig, zum Beispiel alle vier Wochen zum professionellen Nägelkürzen oder Hornhautentfernen. Plötzliche Notfälle gibt es selten. „Man hat damit sehr viel mehr Zeit mit den Patienten als in einer Arztpraxis mit einem aus allen Nähten platzenden Wartezimmer“, sagt sie. „Die Patienten verbringen im Schnitt 30 bis 45 Minuten mit uns in der Praxis. In der Zeit können sie einem sehr viel über sich erzählen, es entsteht ein echtes Vertrauensverhältnis und man hat sogar neben den medizinischen Fachgesprächen immer wieder Gelegenheit zu einem Schwätzchen. Und gibt es dann doch einen Notfall, kann ich ihn auch entsprechend leicht dazwischenschieben.“

Nur Privatpatienten bringen genug Einnahmen

Podologe – der perfekte Beruf also? Leider doch nicht ganz. Eine zu geringe Bezahlung ist für Kuberka-Wiese ein großes Manko. Die meisten podologischen Praxen – so wie auch ihre – kämen noch ganz gut über die Runden, da sie viele Privatpatienten hätten, die ihre Behandlungen selbst zahlen. „Nur mit Kassenpatienten könnte man keine Praxis betreiben“, sagt sie. „Wir müssen ja nicht nur die Praxisräume und unsere Fortbildungen bezahlen, wir brauchen auch unsere Arbeitskleidung und unsere Instrumente. Wenn wir einen Fräser kaufen, kostet der zum Beispiel 54 Euro. Wir brauchen bei einer gut gehendenden Praxis aber pro Therapeut fünfzehn Stück davon. Denn jeder Fräser wird nach der Benutzung, wie alle anderen Instrumente auch, erst einmal desinfiziert, verpackt und in Fünfzehner-Chargen sterilisiert. Wir haben die Instrumente damit mehrere Stunden nicht zur Verfügung. Außerdem nutzen sich die Geräte ja auch ab. All diese vielen Kosten fängt die Kassenbezahlung überhaupt nicht auf.“

Krankenkassen zahlen feste – und zu niedrige – Sätze

Ein Problem sieht Kuberka-Wiese darin, dass die Kassen nur Festpreise für Behandlungen zahlen. Überweist ein Kassenarzt einen Patienten, stellt dieser meist ein Rezept über eine „Podologische Komplexbehandlung“ mit drei bis sechs Behandlungen im Abstand von vier bis sechs Wochen aus. Die Krankenkassen geben dabei ihrerseits vor, dass jede Sitzung 40 bis 50 Minuten zu dauern hat. „Dabei können die Kassen gar nicht nachvollziehen, wieviel Zeit wirklich notwendig ist“, sagt  Kuberka-Wiese. „Es ist ein Unterschied, ob wir eineinhalb Stunden für das Abschleifen verdickter Zehennägel und die Entfernung rissiger, kompakter Hornhaut brauchen oder zwanzig Minuten für einen unkomplizierten Nagelschnitt und ein kleines Hühnerauge mit Druckentlastung. Und doch erhalten wir das gleiche Geld dafür.“

Viele Praxisinhaber könnten somit auch ihre angestellten Podologen nicht angemessen entlohnen. Diese erhalten im Schnitt zwischen 1800 und 2000 Euro brutto. „Viel zu wenig für die anspruchsvolle Tätigkeit“, findet Kuberka-Wiese. „Da muss etwas geschehen. Unser Beruf ist durch die Behandlung der vielen Diabetespatienten bereits jetzt sehr verantwortungsvoll. Vor allem wenn unser Berufsbild zukünftig durch ein Hochschulstudium noch anspruchsvoller wird, steht die Bezahlung in keinem Verhältnis mehr zu unserer Qualifikation.“

Interview zur Ausbildung mit Christine Kuberka-Wiese

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