Altenpflegerin in einer Demenz-WG: Stellen Sie sich vor, Sie sind Mutter und haben acht behinderte Kinder.

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von Kea Antes
am 24.04.2019

Kerstin Kley, 54 Jahre, arbeitet seit 10 Jahren als Altenpflegerin in der ersten Demenz-WG Berlins, dem Jochen-Klepper-Haus des Evangelischen Johannesstift. Davor war sie als Pflegedienstleiterin in dem Stift tätig – eine Arbeit, die sie innerhalb kürzester Zeit ausbrannte. Sie zog die Reißleine und ließ sich in die Demenz-WG versetzen. Uns erzählt sie von ihren Höhen und Tiefen, die sie während ihrer 27 Jahre als Altenpflegerin erlebt hat und findet deutliche Worte für die Missstände in der Altenpflege. 

Ursprünglich wollte Kerstin Kley Lehrerin werden. Das entsprach genau ihrem Wunsch, mit Menschen zu arbeiten. Dann wurde sie schwanger und bekam mit 18 Jahren ihr Kind. Sie absolvierte wenig später eine Ausbildung zur Industriekauffrau, merkte jedoch, dass die reine Büroarbeit nichts für sie ist. „Ich traf eine Bekannte, die vom Beruf der Altenpflegerin schwärmte“, so Kley. „So entschied ich mich 1990 die Ausbildung zur Altenpflegerin zu beginnen.“ Ihre erste Stelle hatte sie dann in einem privaten Altenheim in Berlin. „Dort habe ich die schlimmsten Erfahrungen meines Berufslebens gemacht“, berichtet die Altenpflegerin. „Ein Bewohner hat beispielsweise erbrochen und musste in der dreckigen Bettwäsche liegen, weil ich sie nicht wechseln durfte. Es wurde in dem Moment als nicht nötig angesehen.“ Sie hat gekündigt.

Die Erfahrungen, die sie danach gemacht hat, waren ganz anders. Sie war in der häuslichen Altenpflege tätig und bei dem Träger habe sie sich sehr, sehr wohl gefühlt. Nach einem Jahr ist sie jedoch mit ihrer Familie nach Brandenburg gezogen, wieder stand ein Arbeitsplatzwechsel an. Sie fing im evangelischen Johannesstift an, wo sie bis heute arbeitet – in unterschiedlichen Positionen und Häusern.

Die Arbeit hat sie zunehmend ausgebrannt

„Als ich im Johannesstift anfing, vor der Einführung der Pflegeversicherung, waren die Rahmenbedingungen wirklich sehr gut“, berichtet Kley. „Es gab ausreichend Hilfsmittel und Mitarbeiter.“ Nach drei Jahren wechselte sie aufgrund einer Fachkräfteumverteilung innerhalb des Stiftes in ein anderes Haus. Neben der Pflege kümmerte sie sich dort um die Dokumentation. Es stand schließlich wieder ein Wechsel an – und mit jedem Mal, wurden die Arbeitsbedingungen schwerer. Denn wie überall, musste auch im Johannesstift gespart werden. Die Pflegeversicherung war mittlerweile etabliert, die Leistungssätze genau vorgegeben.

Einige Jahre später erhielt sie die Möglichkeit, Pflegedienstleiterin im Stift zu werden. Sie war für 72 Bewohner und 50 Mitarbeiter zuständig. „Meine 75-prozent-Stelle reichte vorne und hinten nicht für die anfallenden Aufgaben aus, nach kürzester Zeit war ich ausgebrannt“, berichtet Kley. „Ich habe den Schlussstrich gezogen und sagte meinem Arbeitgeber, dass ich nur bleibe, wenn ich in die Demenz-WG des Stiftes wechseln und die Leitungsfunktion ablegen kann.“ Ihr wurde dies ermöglicht – auch dank der Unterstützung der Mitarbeiter dort, die Stellenanteile abgaben.

„Wir tragen uns gegenseitig“

„Stellen Sie sich vor, man ist Mutter und hat acht behinderte Kinder, für die man ganz alleine sorgen muss“, sagt Kley. „So geht es uns als Altenpflegerinnen in der Demenz-WG. Pro Schicht kümmert sich eine Fachkraft um die Bewohner.“ Es gibt zwei Schichten: Von 7:30 bis 17 Uhr und von 16:45 bis zum nächsten Tag 7:45 Uhr. „Von 00:00 bis 6:00 Uhr bekommen wir kein Geld, sind aber anwesend und dürfen uns ausruhen. Das tragen wir alle gerne mit, weil wir möchten, dass die Wohngruppe erhalten bleibt.“

„Bei jeder Übergabe tauschen wir uns über die Bewohner und deren Befindlichkeiten aus.“ Aber auch über das eigene Wohlbefinden wird gesprochen, ob es privat etwas Neues gibt oder ob sie etwas belastet. „Wir tragen uns gegenseitig“, so Kley.

Von Pflege über Hauswirtschaft bis zur Büroarbeit

Frau Kley erzählt uns von einer „typischen“ Frühschicht. Nach der Übergabe beginnt sie mit den Frühstücksvorbereitungen und die ersten Bewohner kommen aus ihren Zimmern. Nach und nach versorgt sie dann alle Bewohner grundpflegerisch, führt die Behandlungspflege durch, kümmert sich um eine Bewohnerin, die bettlägerig ist und erledigt die Wäsche. Dann bespricht Frau Kley mit den Bewohnern, was es zum Mittag geben soll. „Ich bekomme oft keine Antworten, aber es ist wichtig, mit den Menschen zu kommunizieren und sie in alltägliche Dinge mit einzubeziehen.“ Auch bei der Zubereitung des Essens werden die Bewohner mit einbezogen, etwa indem sie Kartoffeln schälen oder Gemüse schneiden.

„So zieht sich das den ganzen Tag durch, von Mahlzeit zu Mahlzeit: Frühstück, Mittag, Kaffee trinken, Abendbrot, zwischendurch Pflegetätigkeiten, Wäsche waschen, mit den Bewohnern puzzeln, zusammen Musik hören, sich mit ihnen unterhalten.“ Zwischendurch müsse sie dann noch Zeit für die Dokumentation finden. Doch wenn sie im Büro sei, dann klopft eigentlich immer wieder jemand an die Tür. „Die Bewohner kommen jederzeit, wir sind die Bezugspersonen für sie, wie für Kinder die Mütter.“

Die Sonnen- und Schattenseiten im Umgang mit Dementen

Es sind die vielen tollen Begegnungen mit den Bewohnern, die den Beruf für Kley so erfüllend machen. „Eine Bewohnerin wird manchmal für ein paar Stunden von ihrer Tochter zu sich nach Hause geholt. Einmal kam sie abends zurück und sagte: „Da ist ja mein Sternchen (damit meinte sie mich). Ist das schön, wieder zu Hause zu sein.“ Frau Kley berichtet noch von einem anderen Erlebnis: Eine Bewohnerin sei mal so schwer gestürzt, dass sie immobil war und von alleine nicht aus dem Bett aufstehen, geschweige denn sich im Haus bewegen konnte. Frau Kley habe sie in den Rollstuhl gesetzt und sie in die Wohnküche gefahren – eigentlich eine Tätigkeit von keiner großen Bedeutung. Doch die Bewohnerin habe sich wie ein kleines Kind gefreut, lachte und klatschte in die Hände. „Die Dankbarkeit, die wir von den Bewohnern selbst für solch kleine Dinge erfahren, ist wahnsinnig hoch.“

Frau Kley habe aber auch schon schlimme Erfahrung im Umgang mit den Bewohnern gemacht. So wurde sie bereits angegriffen und verletzt. Das bringe der Beruf mit Demenzkranken aber einfach mit.

Unnötig hoher Dokumentationsaufwand

Auf die Frage, ob es Dinge gibt, die den Berufsalltag besonders erschweren, findet Kley deutliche Worte. „Seit einiger Zeit werden die straffen Hierarchien deutlicher, was eher demotivierend wirkt.“ Es gebe zudem zu wenig Mitarbeitende und die, die noch da sind, werden wegen Überlastung krank. „Wir vertreten uns bei Bedarf gegenseitig, doch die Überstunden können oft nicht abgebummelt und auch nicht ausgezahlt werden“, so Kley. Hinzu komme unnötiger Mehraufwand durch falsch priorisierte Qualitätsanforderungen. Der körperliche Zustand des Menschen stehe dabei im Fokus, die seelischen Bedürfnisse würden eher vernachlässigt.

Die Zufriedenheit weicht zunehmend

Frau Kley war einmal sehr glücklich in ihrem Beruf. „Wir pflegen Menschen, die das Land nach dem Krieg wieder aufgebaut haben. Und jetzt wird an ihrer Pflege gespart.“ Auch betrachtet Frau Kley es mit Sorge, bis 67 Jahre in ihrem Beruf arbeiten zu müssen. Das Rentenalter für Pflegekräfte müsse aufgrund der körperlichen und psychischen Belastungen herabgesetzt werden – nicht hinauf.

Auch in puncto Fachkräftemangel hat sie eine klare Meinung. „Dass Pflegefach- und Hilfskräfte fehlen, hat auch die Politik erkannt und fährt nun Ausbildungsoffensiven. Altenpflege ist ein Beruf, den aufgrund der Belastungen und bei fehlendem Einfühlungsvermögen nicht jeder machen kann. Davon ist aber kaum die Rede, der Beruf wird umworben wie eine Ausbildung im Büro. Viele junge Menschen werden zwar die Ausbildung absolvieren, im Berufsleben ist die Enttäuschung dann aber unter Umständen groß, nämlich dann, wenn die Arbeit nicht ihren Vorstellungen entspricht.“

„Macht den Beruf stark!“

„Zudem dürften soziale Einrichtungen nicht gewinnorientiert arbeiten, sondern sollten in staatlichen Händen sein“, so Kley. „Das Geld muss den Menschen, die dort arbeiten und leben, zu Gute kommen.“ Die gesamte Situation habe sich drastisch mit Einführung der Pflegeversicherung verschlechtert. Frau Kley würde sie abschaffen und für die Finanzierung der Pflege die Mehrwertsteuer um ein Prozent erhöhen. So würden alle das System tragen, Beamte, Arbeitnehmer und auch Arbeitslose. Ein weiterer Punkt: Das Lohnniveau müsse dringend angehoben werden, damit der Beruf lukrativ wird.

Als letztes möchte die Altenpflegerin ihr Wort an ihre Kolleginnen und Kollegen in ganz Deutschland richten. „Organisiert euch in Verbänden, setzt euch für bessere Bedingungen ein und macht den Beruf stark!“


 

Die gesetzliche Pflegeversicherung – ein Überblick

Bis 1995 kam der Staat für alle anfallenden Pflegekosten auf. Mit steigender Lebenserwartung veränderten sich jedoch zunehmenden die Herausforderungen, vor die der Staat stand: Mehr Menschen benötigten im Alter Unterstützung. Um dies zu finanzieren, wurde 1995 die Pflegeversicherung eingeführt, die jüngste Säule im Sozialversicherungssystem. Jeder Arbeitnehmer, der gesetzlich krankenversichert ist, zahlt Beiträge an die gesetzliche Pflegeversicherung. Die Beiträge werden von Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils zur Hälfte gezahlt. Selbstständige und freiwillig gesetzlich Versicherte müssen in der Regel die Beiträge komplett selbst zahlen.

Seit Einführung wurde die Versicherung mehrfach reformiert. Die Leistungen wurden angepasst, die Beitragssätze immer wieder erhöht – von anfangs (1995) einem Prozent auf jetzt, 2019, 3,05 Prozent. Denn: Auf Grund des demografischen Wandels steigt die Zahl der Pflegebedürftigen – und damit auch die Kosten –, gleichzeitig sinkt jedoch die Zahl der Einzahler in die Versicherung.

Die wichtigsten Reformen:

  • 2008 wurde das Weiterentwicklungsgesetz auf den Weg gebracht. Unter anderem wurden die Leistungen für die häusliche und stationäre Pflege erhöht, ebenso jene für demenziell erkrankte Pflegebedürftige. Auch das Pflegegeld und die Sachleistungsbeträge wurden angehoben – um einige Änderungen zu nennen.
  • Im Jahr 2012 gab es mit dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz die zweite Änderung. Durch die Einführung gab es unter anderem mehr Leistungen und mehr Geld für Demenzkranke und Zuschüsse zur Gründung neuer, ambulant betreuter Wohngruppen oder Wohngemeinschaften. Zudem schaffte die Regierung durch staatliche Förderung einen Anreiz, privat für die Pflege vorzusorgen (Pflege Bahr).
  • 2015 und 2017 folgten dann die Pflegestärkungsgesetze 1 und 2. Unter anderem wurde das Pflegegeld erhöht, ebenso wie die Sachleistungen und die Zahl der Betreuungskräfte in Pflegeheimen wurde angehoben. 2017 folgte dann als wesentliche Veränderung die Einführung der fünf Pflegegrade.

Private Anbieter und Einsparungen

Doch mit Einführung der Pflegeversicherung wurden auch effizienzorientierte und kostensenkende Maßnahmen etabliert. Der Pflegesektor wurde für private Anbieter geöffnet und die Leistungen – etwa für Hilfsmittel wie Inkontinenzwindeln – wurden standardisiert und pauschalisiert.

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